Zukunft Gendermedizin

Die Gendermedizin gerät immer mehr in den Fokus des öffentlichen, medizinischen und pharmakologischen Interesses. Was macht sie so wichtig?

Gendermedizin: Die Zukunft der medizinischen Forschung

Gender. Aktuell ein heiß diskutiertes Thema. Doch, auch wenn Verwechslungsgefahr besteht, die Gendermedizin hat weder etwas mit dem Gender-Doppelpunkt oder -Sternchen zu tun noch mit dem Gleichstellungs-Gesetz und den daran geknüpften Themen. Der Begriff „Gendermedizin“ wird daher vermutlich über kurz oder lang durch die korrektere Bezeichnung „geschlechtersensible Medizin“ ersetzt. Das noch recht junge Arbeitsfeld ist Teil der personalisierten Medizin und beschäftigt sich mit der Erforschung der geschlechterspezifischen Unterschiede bei Erkrankungen und deren Behandlung.

Die medizinische Forschung hat sich lange Zeit vorrangig auf männliche Probanden gestützt. Der „Standardpatient“ war männlich, weiß und mittelgroß. Inzwischen ist die Diversität der Spezies Mensch zwar in die Auswahl der Studienteilnehmer:innen eingezogen, jedoch nicht unbedingt in einem Verhältnis, das dem Bevölkerungsschnitt oder gar korrespondierend zur Erkrankungsprävalenz steht. Spätestens bei der Auswertung werden den geschlechtsrelevanten Spezifika jedoch eh keine (ausreichende) Beachtung geschenkt: Je nach Datenbasis werden die „kleinen Unterschiede“ per Median oder Mittelwert kurzerhand wegrationalisiert. Was nicht nur für die medizinische Versorgung eher ungünstig ist, sondern auch ein enormes Potenzial für das Gesundheitswesen brach liegen lässt. Und auch wenn wir uns in diesem Artikel ausschließlich um die geschlechtsspezifischen Unterschiede kümmern wollen, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass u.a. auch die ethnische Herkunft der Patient:innen nicht „weggemittelt“ werden sollte.

Doch von vorn:

Frauen galten als „zu komplex“

Frauen waren über lange Zeit weitgehend von klinischen Studien und Forschungsprojekten ausgeschlossen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhundert war die vorherrschende Überzeugung, dass die Physiologie von Frauen aufgrund hormoneller Schwankungen zu komplex sei. Sie bekamen den Stempel der "unzuverlässigen Probandinnen“ für die medizinische Forschung. Dies führte zu einer einseitigen geschlechtsspezifischen „Prägung“ im medizinischen Wissen und in der Praxis. Obwohl durchaus Bewusstsein dafür vorhanden war, dass die hormonellen Besonderheiten einen Einfluss haben, wurden Frauen nach den Zulassungsverfahren medikamentös behandelt wie „kleine Männer“.

Erst in den 1970er und 1980er Jahren begannen sich die Vorschriften zu ändern. Im Jahr 1977 veröffentlichte die US-amerikanische FDA Richtlinien, die die Einbeziehung von Frauen im gebärfähigen Alter in klinische Studien empfahlen. Allerdings dauerte es bis 1993, bis das Gesetz in den USA verabschiedet wurde, das die explizite Einbeziehung von Frauen und Männern in klinische Studien vorschrieb.

Noch heute gibt es Herausforderungen bei der Geschlechterparität in medizinischen Studien. Einige Studien schließen Frauen immer noch aus oder weisen eine unzureichende Geschlechterrepräsentation auf. Luft nach oben ist also da – vor allem, um tatsächlich genderspezifische Aussagen bei der Auswertung treffen zu können.

Warum sind gendermedizinische bzw. geschlechterspezifische Aspekte so wichtig?

Im Gegensatz zur Medizin des Durchschnittspatienten berücksichtigt die Gendermedizin biologische, psychologische und soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Denn Frauen und Männer haben nicht nur offensichtlich unterschiedliche Körpermerkmale, sondern sind genetisch und hormonell bis hinunter auf die zelluläre Ebene anders gestrickt. Dabei geht es zum einen um die Chromosomen XX und XY, zum anderen aber auch um hormonell bedingte Modulationen bei der Gen-Expression im gesamten Genom. Was zum Beispiel einen Einfluss auf die Enzymaktivitäten und daran gebundene Stoffwechselvorgänge, das Immunsystem, die Ausprägung von Krankheitssymptomen sowie auf pharmakokinetische und pharmakodynamische Aspekte und damit die Reaktion auf Medikamente hat. Gendermedizin bzw. eine geschlechtersensible Medizin ist demnach keine eigene Disziplin, sondern sollte im Rahmen einer individualisierten Medizin Teil jeder Fachdisziplin sein.

Die geschlechtersensible Medizin / Gendermedizin untersucht, wie diese biologischen Unterschiede die Gesundheit und die Reaktion auf medizinische Behandlungen beeinflussen können. Ein geschlechtersensibler Ansatz in der medizinischen Forschung und Versorgung ermöglicht, die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Männern in der Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu berücksichtigen. Er ist somit ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung.

Werden die Unterschiede zwischen Frauen und Männern ignoriert, entgehen uns wichtige Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten. Zum Beispiel wurde lange Zeit angenommen, dass das Schmerzempfinden bei Männern und Frauen gleich ist – was sich als rezeptorbedingter Irrtum herausstellte. Oder dass Herzinfarkte bei Frauen selten sind – was, Sie ahnen es, ebenfalls nicht der Fall ist. Sie äußern sich einfach nur anders. Inzwischen gibt es sogar Studien, die Herzkrankheiten an der Spitze der Todesursachen für Frauen weltweit sehen. Erkenntnisse aus der Gendermedizin lassen immer mehr stereotype Annahmen fallen.

Die Zukunft der Medizin

Das Bestreben von Wissenschaft und Forschung ist es, den Weg zu einer personalisierten Medizin weiter zu verfolgen. Dies ist zurzeit in aller Munde – hierzu gehört auch die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede. Ärztinnen und Ärzte erkennen und fordern zunehmend, wie wichtig die Berücksichtigung von hormonellen und physiologischen Besonderheiten bei der Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten sein kann. Und wo wir schon bei Zukunft sind: Die Analyse großer Datenmengen durch KI-gestützte Systeme könnte weitere Erkenntnisse und Ansatzpunkte für die weitere Erforschung geschlechtsspezifischer Unterschiede in diversen Indikationen liefern.

In jedem Fall hilft die Gendermedizin dabei, maßgeschneiderte Behandlungspläne zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen zugeschnitten sind.

Warum lohnt es sich, sich mit gendermedizinischen Aspekten auseinanderzusetzen?

Eine medizinische Versorgung, die mehr auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Patient:innen eingeht, wird schon seit Jahren gefordert, jedoch bisher nur in wenigen Fachgebieten wie z.B. in der Onkologie konsequent umgesetzt. Die Forderung stammt nicht nur von Patient:innen, sondern auch von Mediziner:innen. Gendermedizinische Fragen – bzw. vor allem die Antworten auf diese Fragen – gehören auf diesem Weg dazu.

Deshalb wird es zunehmend wichtiger werden, dass die Forschung bei der Durchführung von Studien eine genderbasierte Auswertbarkeit stärker in den Fokus nimmt. Nur so können für beide biologischen Geschlechter aussagekräftige Ergebnisse gewonnen werden. Da die Gendermedizin bereits zu einigen Fortschritten in der modernen Medizin geführt und mit einigen Stereotypen aufgeräumt hat, wird immer offensichtlicher: Wer in der Forschung auch zukünftig erfolgreich sein will, sollte unbedingt einen genderbasierten Ansatz verfolgen. Begonnen beim Studiendesign, aber natürlich auch bei der Auswertung und den daraus resultierenden Empfehlungen für Diagnose, Therapie und Prävention. Auch um den Anspruch von Patient:innen und Mediziner:innen an eine bessere und individuellere Versorgung gerecht zu werden.

Neben der Forschung werden sich auch Aus- und Fortbildung verstärkt mit dem Thema Gendermedizin bzw. den Aspekten geschlechtersensibler Medizin auseinandersetzen müssen. Im ersten Schritt gilt es die wissenschaftliche Community „mitzunehmen“ – von Student:innen bis zu Meinungsbildner:innen. Gehört das Thema nicht in jedes medizinische Curriculum und sollte seinen Platz in jeder Fort- und Weiterbildung haben?

Gendermedizin und SDMED

Wir verfolgen auch im Bereich Gendermedizin die Entwicklungen gemeinsam mit unseren Expert:innen, um Sie in allen Belangen rund um das Thema adäquat beraten und begleiten zu können.

Lassen Sie uns in den Austausch zu diesem Thema gehen, sprechen Sie uns gerne an!

Foto Gerd Altmann über Pixabay





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