Wie kann man die Therapietreue von Patient:innen erhöhen? Teil 1: Das Problem

Die Therapietreue zu erhöhen ist seit längerem ein wichtiges Thema in der Medizin. Doch wo liegt überhaupt das Problem?

Wie kann man die Therapietreue von Patient:innen erhöhen? Teil 1: Das Problem

Teil 1: Das Problem

Vor allem bei der Behandlung chronischer Erkrankungen ist die Therapietreue von Patient:innen schon immer eine Herausforderung gewesen. Es sind vor allem zwei Stellschrauben, die die Therapietreue beeinflussen. Das eine ist die Anzahl an Präparaten, die eingenommen werden müssen: je komplexer die Therapie, desto schlechter die Therapietreue. Das andere ist die Einsicht der Patient:innen in und das Verständnis für die Therapie. Muss ich das wirklich nehmen? Warum muss ich das nehmen? Was passiert, wenn ich es nicht tue? Und was passiert, wenn ich es tue – welche Nebenwirkungen hat die Therapie und gibt es da nicht eine schonendere Alternative?

Von mangelndem Wissen bis mangelnder Motivation

Die modernen, digital vernetzten Patient:innen sind anspruchsvoll. Sie wollen Erkrankung, Therapie und Alternativen bzw. Konsequenzen kennen und verstehen. Es geht um eine verständliche, nachvollziehbare und umfassende Aufklärung – und hier scheint das Gesundheitssystem nicht hinterherzukommen. Das Resultat ist, dass immer mehr Patient:innen auf Internet und Apps ausweichen. Hier laufen sie Gefahr, aufgrund falscher Informationen oder Fehleinschätzungen ihre Therapie abzubrechen und auf Alternativen zu setzen, die oft keine sind.

Die häufigsten Gründe für eine mangelnde Therapietreue liegen in:

  • einer hohen Komplexität der Therapie
  • (der Furcht vor) Nebenwirkungen
  • der Kommunikation und der Beziehung zwischen Patient:innen und Ärzt:innen
  • psychologischen Faktoren, darunter auch das Gefühl mangelnder Selbstwirksamkeit, Motivation oder Überzeugung von der Wirksamkeit

An der ersten Stellschraube, einer Vereinfachung komplexer Behandlungsregime zur Erhöhung der Therapietreue, arbeiten andere. Wir wollen mit Ihnen im ersten Teil unserer Artikel-Miniserie einen Blick auf die Entwicklungen an den anderen Stellschrauben werfen: Information und Kommunikation. In einem zweiten Artikel werden wir uns dann mit der Frage beschäftigen, wie sich an diesen Schrauben die Therapietreue erhöhen und das Verhältnis zwischen Patient:innen und dem Gesundheitswesen kitten ließe.

Der Zulauf der Gemeinschaftspraxis Dr. Google, Dr. Twitter und Co

Sie sind 24/7 verfügbar, wissen zu absolut jeder Indikation etwas zu sagen, man bekommt sofort einen Termin und egal wie viele Millionen Patient:innen im Wartezimmer sind, man kommt sofort dran. Laut Umfragen des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) steigt der Anteil derer, die ihre Symptome recherchieren, stetig an. 2020 waren es 53%, 2021 56% und im Jahr 2022 schon 62% der Betroffenen, die vor einem Arztbesuch erst mal selbst recherchiert haben. Insgesamt gaben 43% der Befragten an, schon auf Praxisbesuche verzichtet und sich selbst behandelt zu haben.

Noch bedenklicher sind weitere Zahlen der Erhebung: 63% der Befragten recherchierten NACH einem Arzttermin Informationen zu Symptomen, Diagnose und den verordneten Medikamenten. Von diesen 63% gaben nur 62% an, generell nach zusätzlichen Informationen zu Ihrer Erkrankung gesucht zu haben. Stattdessen wollten sich 74% über alternative Behandlungsmethoden informieren, 62% suchten nach einer Zweitmeinung, 51% nach einer Alternative zu den verordneten Medikamenten. Genau diese Patient:innen drohen, verloren zu gehen. Und bei ihnen ließe sich vermutlich die Therapietreue erhöhen, indem man den Informationsfluss verbessert. Denn 23% der Befragten sagten, sie hätten sich nicht mehr an alle Details des Gespräches mit ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin erinnern können, 15% haben die Erklärungen schlicht gar nicht erst verstanden.

Die Gefahr bei der Suche im Netz

Die große Gefahr bei der Suche im Netz nach Symptomen, Behandlungsalternativen und Zweitmeinungen offenbart eine repräsentative Studie zur Gesundheitskompetenz in Deutschland („Health Literacy Survey Germany 2“ (HLS-GER 2)). Laut ihr haben fast 60% der Befragten nur eine geringe Gesundheitskompetenz. Schlimmer noch: Fast 75% der Befragten können Gesundheitsinformationen nicht korrekt beurteilen oder einordnen. Falschinformationen, dubiose Heilmittel und Heiler:innen nebst ihrer Ratschläge, richten dann einen enormen Schaden an. Dazu kommen die vielen anekdotischen, aber in schillernden Farben ausgemalten, Erfahrungsberichte von Patient:innen, die Präparat XY nicht vertragen haben. „Die Großtante dritten Grades der Bekannten meines Neffen hat gesehen, wie jemand nach der Einnahme des Blutdrucksenkers umgekippt ist.“ Da entstehen psychologische Verzerrungseffekte, für die hat die Psychologie noch nicht mal Namen gefunden.

Zusätzlich zu der Recherche im Netz oder in Apps, kommen nun auch KI-Systeme wie ChatGPT zur Liste der „medizinischen Ratgeber“ dazu – es kann also nur schlimmer werden …

Fazit bis hier hin

Therapietreue ist für eine erfolgreiche Behandlung essenziell. Neben Faktoren wie der Anzahl der einzunehmenden Medikamente, können auch mangelndes Wissen und Verständnis dazu führen, dass Patient:innen die Therapie in Frage stellen und eventuell abbrechen. Entweder direkt oder nach einer Recherche im Netz. Und die Zahl der Patient:innen, die Symptome, Diagnosen und Behandlungsalternativen im Netz suchen, steigt stetig an. Wie man diese Patient:innen wieder mit ins Boot holen und die Therapietreue erhöhen könnte, das lesen Sie im zweiten Teil.

Image by Karolina Grabowska from Pixabay





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